Im Interview: Renate Strohmeier - Vernetzungssprecherin Arbeitsassistenz

In ihrer Funktion als bundesweite dabei-austria Arbeitsassistenz-Vernetzungssprecherin greift Renate Strohmeier auf einen reichen beruflichen Erfahrungsschatz als Arbeitsassistentin zurück - seit 2008 zudem in leitender Funktion im Odilien-Institut in der Steiermark. Im Interview erzählt sie aus ihrer beruflichen Praxis und wie sich die Unterstützung am Arbeitsplatz für Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit gestaltet. 

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dabei-austria: Frau Strohmeier, Sie greifen in vielfältiger Weise auf einen reichen beruflichen Erfahrungsschatz zurück. Was hat Sie persönlich dazu motiviert, sich beruflich im Bereich Arbeitsassistenz zu engagieren?

Renate Strohmeier:

Mein Vater hat mich bereits in frühen Jahren mit seinem Engagement als Begleitsportler für blinde Menschen geprägt. Somit habe ich über die Jahre auch einen sehr persönlichen Bezug für das Thema Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung entwickelt.

Nach meinem Studium der Erziehungswissenschaften und Heilpädagogik war ich zunächst mehr als ein Jahrzehnt im AMS-Bereich tätig, bevor ich in die Arbeitsassistenz gewechselt – und geblieben bin.

In meiner Tätigkeit ist mir die ganzheitliche Betrachtung und Betreuung von Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung besonders wichtig. Dabei stehen die Klient:innen für mich immer im Vordergrund und gemeinsam arbeiten wir an Lösungen in Richtung selbstbestimmtes Leben.

Nach all den Jahren meiner beruflichen Laufbahn im Bereich der Arbeitsassistenz, gibt es immer noch Dinge, die mich überraschen – und das ist gut so!

dabei-austria: Ihr persönliches Credo lautet: „Supported Employement is thinking out of the box“. Welche Erfolgsgeschichte ist Ihnen diesbezüglich besonders in Erinnerung geblieben?

Renate Strohmeier:

Wenn ich an Erfolgsgeschichten denke, ist mir eine Klientin mit multiplen Problemstellungen besonders in Erinnerung geblieben.

Die damals 51-jährige gelernte Kinderkrankenschwester ist nach ihrer Mutterkarenz 20 Jahre zu Hause geblieben. Ihr beruflicher Wiedereinstieg hat sich durch eine Späterblindung - als Folge einer schweren Erkrankung - zusätzlich verschärft und besonders schwierig gestaltet. Dazu kam, dass die Frau auch in einer sehr exponierten Lage im ländlichen Bereich beheimatet war.

Durch die ganzheitliche Betreuung, inklusive Umschulung von Sehendtechniken auf Blindentechniken, konnte für die Klientin ein Arbeitsplatz als Ordinationsgehilfin in einer sechs Kilometer entfernt gelegenen Ortschaft geschaffen werden. Bis zur ihrer Pensionierung war sie in dieser Ordination tätig.

dabei-austria: 30 Jahre Arbeitsassistenz in Österreich: Was waren für Sie bislang die wichtigsten Meilensteine?

Renate Strohmeier:

Die Ausweitung der Arbeitsassistenz für Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit in (fast) allen Bundesländern – mit Ausnahme von Salzburg und Vorarlberg war ein großer Meilenstein. So ist es gelungen, Angebote der beruflichen Assistenz für dieses Klientel regional stetig auszubauen.

Einhergehend war die Etablierung der Arbeitsassistenz als höchst wirksames Instrument der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen, die durch die Schaffung des Netzwerks Berufliche Assistenz und den dabei-austria gut sichtbar wurde.

dabei-austria: Aus Ihrer beruflichen Praxis: Wie gestaltet sich die Unterstützung am Arbeitsplatz speziell für Menschen mit Sehbehinderungen oder Blindheit?

Renate Strohmeier:

Verbunden mit einer Fülle an Begleitmaßnahmen, sind es im speziellen:

  • die Hilfsmittelausstattung inklusive Schulungen,
  • ein Orientierungs- und Mobilitätstraining,
  • gegebenenfalls auch Schulungen in anderen Bereichen,
  • die Organisation von Taxidiensten
  • und die Stabilisierung von Menschen, die vor allem durch eine Späterblindung oder eine aufgetretene, hochgradige Sehbehinderung in schwere Krisen geraten sind - die sich oft existenzbedrohend gestalten.

dabei-austria: Welchen beruflichen Tätigkeiten gehen blinde und sehbehinderte Menschen in Österreich nach? Und wie offen gestaltet sich dabei der österreichische Arbeitsmarkt?

Renate Strohmeier:

Mittlerweile gibt es eine hohe Akademikerquote unter blinden und sehbehinderten Menschen, die dann in Berufe wie Juristen:innen, Dolmetscher:innen und IT-Fachkräfte Einstieg finden. Im Laufe der letzten Jahrzehnte sind immer mehr Büroarbeitsplätze – auch im Servicebereich bei Banken – geschaffen worden. Im Zuge der Corona-Pandemie zudem im Bestattungsbereich - was vielleicht etwas makaber klingen mag.

Grundsätzlich muss ich sagen, dass blinde und sehbehinderte Menschen mit immer weniger Vorurteilen konfrontiert werden - sofern die Thematik im beruflichen Umfeld gut erklärt wird und notwendige Unterstützungsleistungen vorhanden sind.

Ausschlaggebend für die gute berufliche Integration ist neben der guten Qualifikation vor allem auch die hohe Motivation der Klientel.  

dabei-austria: Ist es durch Maßnahmen im Bereich Arbeitsassistenz beispielsweise auch gelungen, die Jobchancen von Menschen mit Sehbehinderungen zu verbessern – bzw. haben sich die Berufsfelder für diese Anspruchsgruppe in den letzten drei Jahrzehnten erweitert?

Renate Strohmeier:

Absolut! Durch die integrative Beschulung auf der einen Seite und der Weiterentwicklung technischer Hilfsmittel auf der anderen, können blinde und sehbehinderte Menschen heutzutage länger im Schulsystem bleiben.

Der Zugang zu längerer und höherer Bildung hat daher die Möglichkeit einer Wegentwickelung - von traditionellen Blindenberufen wie Bürstenbinder, Möbelflechter und Masseur – geschaffen.

Wobei dazu gesagt werden muss, dass das Berufsfeld des Masseurs bzw. der Masseurin trotz Unterbezahlung, noch immer ein gern gewähltes und positiv behaftetes Berufsfeld ist.