Im Interview: Simon Mitterbauer - Vernetzungssprecher Jugendarbeitsassistenz

30 Jahre Arbeitsassistenz in Österreich: Waren Jugendliche eigentlich von Anfang an Teil der Zielgruppe? Antworten auf diese und andere Fragen gibt Simon Mitterbauer - bundesweiter dabei-austria Jugendarbeitsassistenz-Vernetzungssprecher und Projektleiter Arbeitsassistenz & Jugendarbeitsassistenz,  RETTET DAS KIND, Burgenland.

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Nachgefragt bei Simon Mitterbauer, dem bundesweiten dabei-austria-Vernetzungssprecher Jugendarbeitsassistenz und Projektleiter der Jugendarbeitsassistenz & Arbeitsassistenz „Rettet das Kind Burgenland“.

dabei-austria: Welches Resümee ziehen Sie nach drei Jahrzehnten Unterstützung am Arbeitsplatz? Was waren Ihrer Meinung nach die großen Erfolge und Weichenstellungen?

Simon Mitterbauer: 

Die großen Erfolge geschehen jeden Tag. Jedes Mal, wenn ein Mensch Arbeit erlangt oder behält, sich über Arbeit als Mitglied der Gesellschaft und selbstwirksam erlebt, dann ist das ein Erfolg, und zwar ein großer. Das wird immer unser Antrieb bleiben. Die Vision von Inklusion.

Das Projekt Arbeitsassistenz sehe ich als Erfolgsgeschichte. Begonnen hat alles mit Pilotprojekten für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Daraus hat sich dann allerhand entwickelt (so wie man bei einer gesunden Pflanze Ableger entnimmt und daraus wieder wunderbar blühende Pflanzen werden). So wie zunächst die Jugendarbeitsassistenz einen eigenen Fokus bekam. So wie aus dem ursprünglich angedockten Clearing das Jugendcoaching hervorgegangen ist und heute das Projekt mit den meisten Teilnahmen ist. So wie das Jobcoaching heute ein nicht mehr weg zu denkendes eigenständiges Projekt ist. So wie last but not least vor kurzem das Betriebsservice aus der Taufe gehoben wurde, um den unternehmenszentrierten Teil der AASS zu stärken und den Betrieben ein zusätzliches, exklusives Angebot anbieten zu können.

Ich will damit nicht die AASS über die anderen Projekte stellen, ich denke diese Entwicklung zeigt einfach die Erfolgsgeschichte der gesamten Beruflichen Integration in den letzten Jahren. Ich denke der wesentliche Fortschritt ist, das Thema Supported Employment nachhaltig in der österreichischen Gesellschaft implementiert zu haben. Denn es bedarf hierzu vor allem eines Umdenkens und das braucht Zeit.

Mir fallen dazu sehr prägende Worte einer Kolleg:in ein, die mittlerweile in Pension ist. In einer intensiven Diskussion rief sie dazu auf uns stets auf unsere Wurzeln zu besinnen. Das klang in etwa so: Leute, wir dürfen nie vergessen wo wir herkommen. Es geht nicht darum, dass jemand mit Behinderung irgendwo „ein bissl lieb“ mitmachen darf oder alle mit Autismus jetzt Programmierer werden sollen. Das revolutionäre vor 30 Jahren, das wirklich neue, war „ein Job den sie wollen“. Das jemand mit Behinderung genauso wie jede:r andere Zugang zum Arbeitsmarkt haben soll. Und hier braucht es Profis, die sich jeden Tag mit diesem Thema beschäftigen um dies in der Gesellschaft zu verankern. Auch oder gerade das ist neben der Arbeit für die Teilnehmer:innen und Stakeholder Aufgabe der Arbeitsassistenz, der beruflichen Integration. Das es darum geht, was die Person kann und nicht was ihre Behinderung ist. Das ist ein gar nicht so leichtes Unterfangen und wir sind hier auch lange noch nicht am Ziel. Denn viel seltener als früher aber noch immer viel zu früh und zu oft kommt die Frage „Was hat er/sie?“ und viel zu spät die Frage „Was kann sie/er?“. Es braucht hier einen langen Atem, Beharrlichkeit und Begeisterung um der Vision von Inklusion Schritt für Schritt näher zu kommen und zwar nicht nur auf Plakaten und in Reden, sondern substanziell, in der gesamten Gesellschaft. So gesehen will ich sagen… Ja, es sind 30 Jahre, aber wir haben gerade erst begonnen und wir sind gekommen um zu bleiben ;)

dabei-austria: 30 Jahre Arbeitsassistenz in Österreich: Waren Jugendliche eigentlich von Anfang an Teil der Zielgruppe?

Simon Mitterbauer:

Das kommt wohl auf die Definition oder den Blickwinkel an. Die Trennung in Jugendliche und Erwachsene erfolgt bei uns mit 24 Jahren und nicht etwa mit 18 (wobei es natürlich hier durch die AB18 Einflussfaktoren gibt). Ich gehe davon aus, dass schon zu Beginn in den Pilotprojekten für Menschen mit psychischen Erkrankungen Personen unter 24 Jahren dabei waren. Klar ist aber auch, dass im Verlauf der 30 Jahre Jugendliche immer mehr in den Fokus gerückt sind – Durch die Jugendarbeitsassistenz, die AB 18 und die NEBA-Projekte mit Jugendfokus. Auch dass es einen eigenen Vernetzungssprecher für die JAASS gibt, zeugt davon. Hier möchte ich meinem Vorgänger, Ewald Samhaber, ausdrücklich danken, der sich maßgeblich für die Schaffung dieser Rolle eingesetzt und diese ausgestaltet hat.

dabei-austriaWelche Besonderheiten weist die Arbeitsassistenz für Jugendliche auf? Gibt es beispielsweise Unterschiede bei den Anforderungen und Bedarfen von Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen?

Simon Mitterbauer:

Ja, hier gibt es Unterschiede. Elternarbeit bzw. die Arbeit mit und für Angehörige ist bei allen Altersgruppen ein Thema, aber bei Jugendlichen sicher zentraler. Weiters gibt es bei den Jugendlichen mehr NEBA-interne Schnittstellen zu den anderen Jugendprojekten Jugendcoaching, Ausbildungsfit und Berufsausbildungsassistenz. Bei den Erwachsenen beschränken sich diese eher auf die Projekte Jobcoaching und Betriebsservice.

Auch die Verweildauer ist ein großer Unterschied. Jugendliche sind viel kürzer bei uns, da geht es oft um die Vermittlung einer Lehrstelle über den Sommer in den Herbst hinein, was wiederum das reibungslose Funktionieren der Schnittstellen so wichtig macht. Bei Erwachsenen ist es oft eine Arbeit über Jahre, die sich zunächst nicht (weil es Beratungen sind) oder als Abbrüche und Alternativen in den Datenbanken zeigt, dann aber durch konsequenten Beziehungsaufbau und psychosoziale Begleitung oft in einem Erfolg, dem Erlangen einer Arbeitsstelle mündet. Hier steckt viel Arbeit drinnen, die in der Öffentlichkeitsarbeit schwer verwertet werden kann, aber meines Erachtens gesehen und wertgeschätzt wird.

Ganz zentral ist auch der Unterschied in der Zielgruppe. Jugendliche fallen leichter in die Zielgruppe als Erwachsene. Das ist zwar ein gesellschaftspolitisch brisantes Thema, weil es die Frage aufwirft wo die Grenzen und Definitionen von Behinderung zu ziehen sind, es ist aber gerade vor dem Hintergrund aktueller Krisen höchst wünschenswert (vielleicht sogar für die Aufrechterhaltung der Gesundheit unserer Gesellschaft unerlässlich), Jugendlichen diese Unterstützung zukommen lassen zu können.

dabei-austria: In Ihrer Rolle als bundesweiter Jugendarbeitsassistenz-Vernetzungssprecher, wo liegen derzeit die größten Herausforderungen und was braucht es Ihrer Erfahrung nach in der zukünftigen Schwerpunktsetzung?

Simon Mitterbauer:

Die größten Herausforderungen ergeben sich sicher aus der aktuellen  Gesamtsituation, die von globalen Krisen geprägt ist. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind massiv und gleichzeitig schwer zu prognostizieren. Es braucht klare Eingriffe, die in einem großen komplexen System nicht immer so schnell umsetzbar sind wie sie gebraucht werden.

Es braucht Kooperation. Deshalb sehe ich meine Aufgabe nicht nur in Lobbying für die JAASS, sondern auch darin, gemeinsam mit meiner Kollegin Renate Strohmeier die AASS als gesamtes gut zu vertreten und darüber hinaus das Zusammenspiel der NEBA Projekte insgesamt bestmöglich zu unterstützen.

Es braucht mutige und verantwortungsvolle Führungskräfte, die in krisenhaften Zeiten in Ruhe, Klarheit und Beharrlichkeit das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren und trotz aller Herausforderungen in der Finanzierung und Hindernissen auf die Wichtigkeit dieser Arbeit hinweisen und den Arbeitsassistent:innen bestmögliches Arbeiten ermöglichen.

Es braucht Arbeitsassistent:innen mit hoch entwickelten Persönlichkeiten & Reflexionsvermögen, die sich selbst gut durch die Krise navigieren können, das positive bei all den Veränderungen herausarbeiten können um dann noch ihrer Haupttätigkeit, dem Unterstützen der Teilnehmer:innen, nachzukommen.

Es braucht mutige Politik. Ein Erfolg ist hier sicherlich das Projekt #change, das Jugendlichen in NEBA-Projekten psychologische Unterstützung ermöglicht. Auch wenn ein solches Projekt naturgemäß etwas Anlaufzeit in der Umsetzung braucht, so ist schon allein dessen Existenz ein Erfolg.

Schwerpunkte die sich derzeit abzeichnen, sehe ich vor allem zwei. Zum einen ist das Thema der psychischen Gesundheit bei unserer Zielgruppe besonders groß und wird uns meiner Meinung nach noch lange beschäftigen. Es ist dies auch kein neues Thema, schon vor 10 Jahren wurde im Forschungsbericht „20 Jahre Arbeitsassistenz in Österreich“ die Zunahme von psychischen Belastungen diskutiert. Ich würde hier aber aufgrund der Entwicklungen eher einen exponentiellen Anstieg als einen linearen Anstieg erwarten.

Zweitens besteht in Umbruchzeiten, und dort befindet sich der Arbeitsmarkt, mehr als sonst das Risiko, dass Menschen mit Behinderung nicht nur als wertvolle Bereicherung gesehen werden sondern auch als kostengünstige Arbeitskräfte eingesetzt werden. Hier braucht es die AASS als Fürsprecherin und Lobbyistin. Denn in diesem Umbruch besteht auch die Chance, Menschen mit Behinderung vermehrt in den Arbeitsmarkt zu bekommen.

Daneben gibt es sicher noch viele weitere Punkte, aber diese beiden finde ich zentral. Ich denke, dass wir hier als großes (und wie ich meine gut aufgestelltes) Netzwerk viel Austausch brauchen, uns nicht von den Krisen hetzen lassen dürfen, Unnötiges weglassen und Chancen erkennen und ergreifen sollten – und dass wir es vor allem GEMEINSAM anpacken, denn die Alternative ist gemein und einsam.